Die Berliner Medien berichten derzeit über einen von uns im Namen einer Anwohnerin erhobenes Widerspruchsverfahren. Unsere Mandantin ist Eigentümerin eines Grundstücks am Großen Wannsee. Gegenüber befindet sich eine als unüberbaubare öffentliche Grünanlage ausgewiesene Fläche, die sich noch im Privateigentum befindet. Dort bewilligte das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf ein zweistöckiges Einfamilienhaus – unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs.
Inmitten von Bäumen, Uferbegründung und einstöckigen Holzhütten findet sich nun dieses Bauwerk wieder:
Ein solches Bauvorhaben ist in einer öffentlichen Grünanlage ohne Weiteres nicht zulässig. Daher musste das Bezirksamt zum Instrument der Befreiung nach § 31 BauGB greifen. Danach kann abweichend von den Festsetzungen des Bebauungsplans eine Bebauung im Einzelfall nach bestimmten Kriterien zugelassen werden:
(2) Von den Festsetzungen des Bebauungsplans kann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und
1. Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder
2. die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder
3. die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würdeund wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das Zulassen einer zweistöckigen Betonbebauung in einer öffentlichen Grünanlage auf einem nach dem Bebauungsplan freizuhaltenden Uferstreifen berührt die Grundzüge der Planung der Bezirksverordnetenversammlung. Schließlich wollte man das Wannseeufer nicht Einzelnen, sondern der gesamten Bevölkerung zugänglich machen. Zudem ist eine Befreiung in der hiesigen Lage auch politisch fragwürdig, denn sie birgt die Gefahr, dass künftig entgegen dem Willen des demokratischen Plangebers eine Vielzahl weiterer Befreiungen erteilt wird, so dass aus der öffentlichen Grünfläche auf dem Uferstreifen eine Einfamilienhaussiedlung wird.
Die Begründung des Bezirksamts sowie der Bauherrin konnten nicht überzeugen. So sieht man in der Bebauung eine „Wassersportnutzung“. Dass die Bauherrin im Termin darauf bestand, der Segelmast müsse vertikal gelagert werden, um die Zweistöckigkeit zu begründen, erscheint allenfalls für Unbeteiligte witzig. Das Verwaltungsgericht Berlin ließ seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Befreiung klar durchblicken (wie die Berliner Morgenpost zutreffend berichtete). Gleichwohl – eine Spezialität des öffentlichen Baurechts – steht den Nachbarn hier möglicherweise keine Möglichkeit zu, gegen das Bauvorhaben vorzugehen. Denn unabhängig von einer Rechtswidrigkeit muss der Nachbar in einem subjektiven Recht verletzt sein. Hier vertrat das Gericht die Auffassung, die Nachbarn jenseits der Straße seien aufgrund der Lage der Grundstücke nicht hinreichend beeinträchtigt.
Der auf den Baustopp gerichtete Eilantrag unserer Mandantin war also – im Gebühreninteresse – zunächst zurückzunehmen. Das Widerspruchsverfahren, innerhalb dessen das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf die Rechtmäßigkeit seiner Entscheidung nochmals prüfen kann, läuft jedoch weiter; wir werden an dieser Stelle berichten. Jedenfalls ist ein Teilerfolg zu bemerken: Nach zahlreichen problematischen Befreiungsentscheidungen der letzten Jahre zeigt sich das Bezirksamt jetzt endlich sensibilisiert – vielleicht beginnt nun doch ein Umdenken am Wannsee. Jedenfalls äußerte der zuständige Stadtrat Norbert Schmidt:
„Wir müssen zusehen, dass sich eine solche Situation nicht wiederholt.“
Zudem werde das Bezirksamt darauf achten müssen, dass allgemeines öffentliches Interesse und Privatinteresse noch besser in Einklang zu bringen seien, so der CDU-Politiker in der Berliner Woche vom 27.09.2013.